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Titel
Neighbors and Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin, 1929-1933


Autor(en)
Swett, Pamela
Erschienen
Anzahl Seiten
335 S.
Preis
$75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadine Rossol, History Department, University of Limerick

Politische Gewalt, Straßenkämpfe oder gar Bürgerkrieg sind nur einige der Schlagwörter mit welchen oft die letzen Jahre der Weimarer Republik charakterisiert werden.1 Eve Rosenhafts Arbeit hat gezeigt welche Bedeutung dabei der lokalen Ebene zukommt. Öffentliche Plätze, Straßen, Kneipen und andere Einrichtungen des nachbarschaftlichen Lebens wurden zum Kampfgebiet rivalisierender politischer Gruppierungen.2 Dabei handelte es sich um eine grundlegend andere Form von Gewalt als die Putschversuche zu Beginn der Republik.

Pamela E. Swetts Studie „Neighbors and Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin 1929-1933“ ist in diesen Kontext einzuordnen. Angelegt als Lokalstudie, will Swett zeigen „how residents of the capital, especially those living in workers’ districts participated in the dissolution of the republic“ (S. 2). Sie betont dabei den aktiven Part, den radikalisierte Bürger spielten und interpretiert deren Verhalten als Reaktion auf sich verändernde lokale Bedingungen. Es ging ihnen darum „not to overthrow the republic but to defend the sovereignty of their communities“ (S. 286).

Die Studie ist in fünf Kapitel gegliedert, die ein dichtes Gesamtbild der lokalen nachbarschaftlichen Verhältnisse Berliner Arbeiter bieten. Die ersten zwei Kapitel bilden die Hinführung zu dem Kernbereich der Arbeit. Swett stellt zuerst den lokalen Bezugsrahmen vor: den Kiez der Nostizstrasse in Berlin-Kreuzberg. Weiterhin wird das städtische Berlin mit seinen geopolitischen Unterteilungen beschrieben, dem öffentlichen Nahverkehr, dem Freizeitangebot für Arbeiter und deren Wohnsituation. Diese urbane Skizze gelingt sehr anschaulich. Im zweiten Kapitel geht Swett auf Konflikte innerhalb der Arbeiterbezirke ein. Generations- und Geschlechterprobleme in der wirtschaftlich schwierigen Lage nach 1929 stellten stabile lokale Strukturen in Frage. Frauen wurden wegen geringeren Lohnzahlungen weniger häufig entlassen als Männer, denen ihre Arbeit als Identifikationsgrundlage genommen wurde. Die Reaktion einiger Männer bestand darin, so Swett, „to disassociate themselves from any hints of feminization, radicalized men sought out political spaces that discouraged female involvement and encouraged masculine camaraderie and a sense of power“ (S. 97). Die große Zahl junger, männlicher Arbeitloser bildete kein geringeres Problem für die Erhaltung stabiler nachbarschaftlicher Verhältnisse. Staatliche Intervention und Kontrolle durch Gesundheits- und Jugendämter sowie die Polizei verstärkte das Gefühl des Machtverlustes der Bewohner für den eigenen Bezirk noch weiter.

Die folgenden drei Kapitel sind das Kernstück der Arbeit und sollen zeigen „how neighborhood radicalism sought to combat but in fact exacerbated the local crises it targeted” (S. 136). Im dritten Kapitel stellt Swett die Wahlmöglichkeiten Berliner Arbeiter vor. Auch die zunehmenden Militarisierung des Reichsbanners schwarz rot gold, welches damit seinem republikanischen Deutungsangebot einen militaristischen Anstrich geben wollte, konnte nicht überzeugen. Versammlungen und groß angelegte republikanische Feiern offerierten noch immer ein zu differenziertes Bild, so Swett. Mit den einfachen Parolen der KPD und der NSDAP konnten die republikanischen Parteien nicht mithalten. Diese beiden extremen Optionen boten sich mit ihren Versionen von Disziplin und Ordnung an. Auch ihre Betonung der Gemeinschaft durch Veranstaltungen und sportliche Aktivitäten fiel auf fruchtbaren Boden. Allerdings warnt Swett davor zu glauben, dass die politischen Vorstellungen von Parteiführern gleichsam eins zu eins von ihren Mitgliedern geteilt wurden. Sie betont „politicized Berliners in the early 1930s relied increasingly on the rules and regulations of a neighborhood-based radical culture to set their priorities and define their actions“ (S. 187).

Mit dem vierten Kapitel vertieft Swett ihre These dass Radikalisierung auf lokaler Ebene mehr mit dem Erhalt von Machstrukturen und Unabhängigkeit des eigenen Umfeldes zu tun hatte, als mit Anweisungen von politischen Parteien und Führern. Beziehungen zwischen den radikalisierten Gruppen, Vertrautheit mit den Agitationsformen sowie teilweise Wechsel von Mitgliedern zwischen den extremen Gruppierungen boten ein lokales Gefüge, das nicht nur von klaren parteipolitischen Ideologien bestimmt war. Mit der Analyse von nachbarschaftlichen Denunziationen zeigt Swett die Vielfältigkeit politischer Einstellungen auch in so genannten „roten“ Bezirken Berlins. Beziehungen innerhalb einer Nachbarschaft waren von vielen Faktoren geprägt und abhängig. Politische Einstellungen gehörten dazu genauso wie soziale Verhaltensweisen deren Missachtung zur Disziplinierung durch nachbarschaftliche Kontrolle führen konnte. In Gemeinschaften in denen politische Institutionen an Glaubwürdigkeit verloren hatten, so Swett, zählten Denunziationen zu den Versuchen die nachbarschaftliche Ordnung wiederherzustellen. Auf lange Sicht zerstörten diese Versuche der Ordnungserhaltung die Gemeinschaft, die geschützt werden sollte.

Im fünften und letzen Kapitel konzentriert sich Swett auf die Darstellung von Gewalt auf lokaler Ebene, die eigenen Regeln und Ritualen folgte und aus einer radikalisierten politischen Kultur hervorging. „Alongside daily demonstrations, street newspapers and boycotts, acts of violence served as literal manifestation of a larger fight against disorder in which party affiliation was only a detail.“ (S. 237) Sie interpretiert lokale Gewalt als eine Lösungsstrategie für eine von Unsicherheit und Krisen bestimmte Lage, die jegliche Ordnung und Struktur verloren zu haben scheint. Klare Anweisungen von politischen Parteien spielten bei diesen nachbarschaftlichen Ausbrüchen von Gewalt eine untergeordnete Rolle, was nicht heißen soll, dass sie nicht von radikalen Parteien ermutigt wurden. Die Erklärungsmodelle örtlicher Kontrollinstanzen, wie Sozialämter und Wohlfahrtsverbänden, spiegelten die gesellschaftlichen Vorurteile über die Zusammenhänge zwischen gewaltbereit und arm wieder. Mit der Auswertung von Gerichtsurteilen kann Swett darlegen, dass politische Gewalt durchaus ein akzeptiertes Mittel war, wenn die Intention der Tat nachvollziehbar erschien. Die Gesinnung mit welchen Taten begangen wurden spielte eine fast größere Rolle als die Tat selbst. Swett schließt daraus auf eine große allgemeine Akzeptanz von politischer Gewalt in der Gesellschaft der Weimarer Republik.

Die atmosphärisch dichte Beschreibung dieser Studie, die ihr Lesen so angenehm macht, hat auch ihre Nachteile. Zwei von fünf Kapiteln, die weitgehend Bekanntes zusammenfassen, sei es Geschlechter- und Generationskonflikte oder die urbane Umgebung Berliner Arbeiterbezirke sind ein etwas zu langer Auftakt und bringen die Thesen der Arbeit nicht viel weiter. Auch wenn bei dem Versuch eine lokale politische Kultur herauszuarbeiten sicherlich auf unterschiedliche Faktoren eingegangen werden muss, wäre eine Straffung des Textes hier hilfreich gewesen. Eine Definition oder Konzeptualisierung der Begriffe „Radikalisierung“ und „radikalisierte Arbeiter“ hätte genauer geklärt, wen Swett im Blick hatte. An welchen Aktivitäten Berliner Arbeiter teilnehmen mussten, damit sie von Swett als „radikalisierte Arbeiter“ bezeichnet werden, bleibt unklar.

Swetts Arbeit bestätigt die Bereicherungen die lokalgeschichtliche Perspektiven bieten. Sie zeigt wie Gewalt als Reaktion, und eventueller Lösungsvorschlag, auf Gefährdung lokaler nachbarschaftlicher Verhältnisse gedeutet werden kann. So entstand für manche eine radikale Antwort auf die sich verschlechternde Lage Ende der Weimarer Republik. Politische Einstellungen der Arbeiter, auf die viele andere Studien besonders genau eingehen, bleiben dabei ein Faktor unter vielen, der die nachbarschaftliche Gemeinschaft prägte. Pamela E. Swett ist bedacht genug, ihren angebotenen Gründen für eine Radikalisierung keinen zwanghaften Charakter zuzuschreiben. Sie betont die Alternativen und Auswahlmöglichkeiten die Berliner Arbeiter jederzeit hatten. Dadurch bleibt ihre Analyse überzeugend und vielschichtig.

Anmerkungen:
1 Bessel, Richard, Political Violence and the Rise of Nazism. The Storm Troopers in Eastern Germany 1925-34, New Haven 1984; Schumann, Dirk, Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001; Reichardt, Sven, Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002; Blasius, Dirk, Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-33, Göttingen, 2005.
2 Rosenhaft, Eve, Beating the Fascists? The German Communists and Political Violence 1929-1933, Cambridge 1983.

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